Ein Monat voller Sonnenbrand5 min read

So, es ist 11 Uhr, eigentlich sollte ich schon vor zwei Stunden aufgestanden sein und eigentlich sollte ich mein Fahrrad reparieren, Wäsche waschen, mein Zimmer aufräumen oder an meiner Bachelorarbeit schreiben. Aber stattdessen sitze ich hier und schreibe einen Blogbeitrag darüber, wieso ich das Alles nicht unter der Woche machen konnte. Aber egal, irgendwie bekomme ich das alles heute noch hin.

Ein Monat Sonnenbrand stimmt vielleicht nicht ganz, aber 3 Stück hatte ich mindestens. Und der Grund ist sogar relativ einfach: Seit Anfang Mai haben wir das geilste Projekt, was ich bisher in meinem Studium hatte. Klar, hatten wir eine Menge Übungen auch in München, wir haben sogar eine Woche lang im Rahmen der “Hauptvermessungsübung” (oder kurz HVÜ) im Westen Münchens ein Waldstück vermessen, in das eine fiktive Sommerrodelbahn gebaut werden sollte. Doch alle Übungen waren immer fiktiv. Danach konnten wir die Ergebnisse quasi in den Müll schmeißen, weil keiner sie brauchte. Bei diesem Projekt ist das anders. Einen Monat lang machen wir die Aufgaben eines Vermessungsbeamten. In echt. Alle unsere Messergebnisse werden in das echte Kataster übernommen. Und dafür müssen wir halt auch raus und vermessen. Und weil ich ein gebürtiger Sonnencremehasser bin, habe ich mir da auch den einen oder anderen Sonnenbrand eingefangen.

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Das Ganze fand zum größten Teil in einer Gemeinde namens “Betschdorf” statt, eine Autostunde von Straßburg entfernt. Keine Sorge, wenn ihr das nicht kennt, ist das kein Problem, selbst die einheimischen kannten die Gemeinde bis dahin noch nicht. Das lustige war allerdings, dass die Menschen auf dem Land hier größtenteils noch Elsässisch miteinander sprechen und Elsässisch ist dem Deutschen zum Verwechseln ähnlich, ich würde es sogar fast als deutschen Dialekt bezeichnen. Da aber keiner von uns so alt ist und die deutsche Zeit im Elsass miterlebt hat und die meisten auch aus ganz anderen Regionen Frankreichs kommen, war ich der einzige der etwas verstand. Und manchmal konnte ich der Gruppe so echt weiterhelfen, denn ein Mal trafen wir, als wir an einer Haustür klingelten, eine ältere Frau, die nur Elsässisch sprach. Da lag es also an mir, zu erklären, was wir zu tun hatten. Auf der anderen Seite gab ich mich allerdings nie als Deutscher aus, wenn die Eigentümer auch französisch sprachen. Daher dachten die meisten, dass wir sie nicht verstehen würden, wenn sie untereinander auf Elsässisch redeten und so musste ich mir auch den einen oder anderen Fluch über uns anhören.

Neben den Vermessungsarbeiten in Betschdorf durften wir aber auch noch eine Art Kurzpraktikum im hiesigen Vermessungsamt machen. Ui, das war lustig. Ich erkläre mal kurz für alle Nichtgeodäten hier: Für die meisten Messungen verwenden wir einen sog. “Tachymeter”. Das ist quasi ein 3D-Geodreieck in groß, denn es kann Winkel in der Horizontalebene und Winkel in der Vertikale bestimmen und mit einem Laser- bzw. Infrarotstrahl Längen messen. Moderne Tachymeter haben aber noch viele Features drumherum: Wir müssen beispielsweise die Messergebnisse nicht mehr aufschreiben, denn das Tachy speichert sie einfach für uns. Und wenn ungefähre Messergebnisse (z. B. aus einer früheren Messkampagne) bereits bekannt sind, gibt es Tachys, die auf Knopfdruck einfach dieselbe Messkampagne wiederholen und man einfach nur zusehen muss, dass das Tachy dabei keinen Fehler macht.

Doch solche Tachymeter kosten natürlich Geld. Das INSA ist zwar relativ knapp bei Kasse, aber wir haben trotzdem voll ausgestatte Tachys (sogar mit vollständiger Automatisierung). In diesem Kurzpraktikum hatte ich dann einen kleinen Schock, denn dem amtlichen Vermessungswesen wird in Frankreich augenscheinlich ein so kleines Budget zugeteilt, dass da nur Tachys drin sind, die ich bisher nur im Deutschen Museum gesehen habe (Alter 20 Jahre+!)

Nur so mal für alle Geodäten unter der Leserschaft: Keine ATR, keine reflektorlose Laserdistanzmessung (nur Infrarot), Feintriebe, die noch endliche Schraubmechanismen haben und nur 4 Knöpfe! Ich erwarte ja keine ATR, selbst moderne Tachys haben ja nicht unbedingt eine ATR eingebaut, aber selbst ein Leica TS02 hat reflektorlose Distanzmessung. Für alle Nichtgeodäten: Die Dinger waren wirklich steinalt und konnten quasi Garnichts. Und hier am INSA wird hauptsächlich AutoCAD zur Bearbeitung der Messdaten verwendet, zusammen mit einer französischen Software namens “COVADIS”. Beides zusammen ist quasi der Ferrari der Vermessungssoftware und ich verstehe um ehrlich zu sein nicht ganz, wieso wir in München kein AutoCAD beigebracht bekommen. Am INSA haben wir AutoCAD 2017, also das neueste. Am Vermessungsamt sind sie froh, wenn sie AutoCAD 2007 bekommen, eine COVADIS-Lizenz bleibt wohl einer der nie erfüllbaren Träume eines Vermessers im französischen Vermessungsamt.

So lernte ich also, ein 20 Jahre altes Tachymeter mit vier Knöpfen zu bedienen. Und der Beamte, dem ich zugeteilt wurde, hatte augenscheinlich nicht ganz mitbekommen, dass ich hier sogar schon im 4. Jahr Geodäsie bin und erklärte mir in aller Geduld alles nochmal von ganz von vorne. Weil er aber an sich überaus nett war, wollte ich nicht so unhöflich sein und verkniff es mir, ihm zu sagen, dass ich 99% von dem, was er mir gerade erklärte schon kannte. Aber hey, ich habe wohl einen der schrägsten Typen im ganzen Vermessungsamt kennengelernt und habe mit steinaltem Werkzeug gearbeitet. Sachen, die ich wohl sonst nicht gemacht hätte.

Im Großen und Ganzen war das aber schon unser Projekt. Am Mittwoch geht es mit einer 20-minütigen Präsentation und anschließender 40-minütiger Fragerunde zu Ende. Eigentlich schade, denn ich habe das Projekt sehr gemocht, auch wenn es mir der eine oder andere Lehrer leicht vermiest hat. Außerdem läutet das Ende dieses Projekts auch so ziemlich das Ende meines Aufenthalts ein, worauf ich mich auf der einen Seite freue, was aber auf der anderen Seite auch irgendwie schade ist.

Apropos: Wenn ich es irgendwie schaffe, meine ganzen Ideen für Abschiedsbeiträge zu bündeln, wird es bald eine Art Abschiedsserie geben mit einem coolen Rückblick auf das Jahr hier, ganz vielen Tipps für zukünftige Auslandsabenteurer und vielen, vielen Tränen.

Also haltet die Ohren steif, lange ist’s nicht mehr bis zu meiner Rückkehr!

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