EINLEITUNG
HAZEL
Depression ist eine Nebenwirkung von Krebs. So steht es zumindest in jeder Krebs-Broschüre oder auf jeder Website im Internet. In Wirklichkeit sind Depressionen aber eine Nebenwirkung des Sterbens. Krebs ist auch eine Nebenwirkung des Sterbens.
Keine Angst, das wird kein Depri-Post über Krankheit und Sterben, es ist nur der Anfang eines neunen Geocaches, an dem ich arbeite.
Angefangen hat alles damit, dass ich das Computerspiel „Life is strange“ gespielt habe. Ein Spiel, in dem einem die wundervolle Geschichte der Maxine Caulfield erzählt wird und wie sie durch Raum und vor Allem durch Zeit reisen kann. Das Besondere an dem Spiel ist, dass man als Spieler in Maxine’s Rolle schlüpft und entscheiden muss, wie sie handeln soll. Entscheidungen, die den Verlauf und den Ausgang der Geschichte fundamental beeinflussen.
Die Geschichte von „Life is strange“ hat mich so sehr gepackt, dass mir, bei einer Diskussion mit einem guten Freund von mir, die Idee kam, einen Geocache in diesem Stil zu machen: Der Geocacher bekommt eine Geschichte erzählt, in der er selbst die Hauptrolle spielt und Entscheidungen trifft, nur, dass das Ganze nicht auf dem Computerbildschirm passiert, sondern in der echten Welt.
Mir gingen verschiedene Ideen durch den Kopf: Was für eine Geschichte möchte ich erzählen? Wo werde ich den Geocache platzieren, vor allem aber: Wie werden die anderen Rollen der Geschichte gespielt? In Computerspielen ist das einfach: Die anderen Rollen werden durch den Computer gespielt. Menschenähnliche 3D-Modelle laufen über den Bildschirm, sprechen und reagieren darauf, was man selbst als Spieler macht. Im Wald, ohne Elektrizität, vor Allem aber ohne Diebstahlschutz geht das nicht.
Auch über die Geschichte habe ich lange nachgedacht. Die Geschichte soll einen packen und zum Nachdenken anregen, gleichzeitig muss sie aber familienfreundlich sein und sollte auch nicht zu lang sein. Ich habe lange nach Themen gesucht, die ich ansprechen könnte und wie die Handlung aussehen soll, bis ich mich an ein Buch erinnerte, welches ich vor langer Zeit gelesen habe: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. In dem Buch geht es um die krebskranke Hazel Grace Lancaster, welche sich in einen Jungen namens Augustus Waters verliebt, welcher ebenfalls Krebs hat und leider daran stirbt. Das Buch erzählt die Geschichte so, dass ich, obwohl ich selbst keinen Krebs habe, authentisch mitfühlen kann. Außerdem hat das Buch keine Scheu vor brenzligen Themen, wie z. B. Lebenserwartung, Sterben und eben auch Krebs. Grob gesagt also ungefähr das, was ich mir von meiner Geschichte erwartete.
So machte ich mich an die Arbeit und fing an, das Buch in Theaterform umzuschreiben. Mein Gedanke war nämlich, dass die Geocacher selbst zu Schauspielern werden sollten. Jeder der Spieler bekommt eine sog. Wherigo-Cartridge auf sein Smartphone bzw. GPS-Gerät. Man wählt die Rolle, die man spielen möchte und bekommt dann den Text angezeigt, den man zu sprechen hat. Außerdem navigiert einen die Cartridge zu den Orten, an denen die Geschichte spielt und man trifft auch die Entscheidungen in der Cartridge.
Das alles hört sich natürlich sehr abstrakt an und deswegen habe ich mich einfach mal dazu entschieden, vorab einen kleinen Ausschnitt aus dem Skript in die freie Welt des Internets zu entlassen und zu hören, ob vielleicht ein Echo in Form von Feedback oder Meinungen zurückkommt. Viel Spaß 🙂
INNEN – KIRCHE – NACHMITTAGS
Eine Gruppe Jugendlicher sitzt in einem Stuhlkreis, unter ihnen ein älterer Betreuer, PATRICK. Unter den Jugendlichen sitzen:
HAZEL, hat Schilddrüsenkrebs im Stadium IV mit Metastasen in der Lunge. Daher muss sie ständig eine Sauerstoffflasche mit sich tragen.
ISAAC, hat Augenkrebs, daher wurde ihm ein Auge bereits entfernt und durch ein Glasauge ersetzt.
AUGUSTUS, hat Knochenkrebs. Im Rahmen der Behandlung wurde ihm sein rechtes Bein amputiert, weshalb er dort nun eine Prothese trägt. Sein Gang ist aufgrund der Prothese sehr wackelig.
AUGUSTUS starrt die ganze Zeit über HAZEL an.
[…]
PATRICK
Hazel, wie sieht es mit dir aus?
HAZEL (ÜBERRASCHT)
Oh, äh, … Ich heiße Hazel. Ich bin sechzehn. Ursprünglich hatte ich Schilddrüsenkrebs, Stadium IV, aber mit umfänglichen und hartnäckigen Metastasen in der Lunge. Und es geht mir ganz gut heute.
PATRICK
Nun noch der neue in der Runde, Augustus heißt du, richtig?
AUGUSTUS
Ja genau, ich heiße Augustus. Augustus Waters. Ich bin siebzehn. Vor anderthalb Jahren hatte ich den leichten Anflug eines Osteosarkoms, also Knochenkrebs. Daher habe ich auch diese Beinprothese…
AUGUSTUS zeigt auf seine Beinprothese.
PATRICK
Und wie geht es dir heute?
AUGUSTUS (LÄCHELND)
Oh, mir geht es toll, ich sitze in einer Achterbahn, auf der es immer nur aufwärts geht, mein Freund.
PATRICK
Augustus, vielleicht möchtest du der Gruppe von deinen Ängsten erzählen?
AUGUSTUS
Meine Ängste? Ich habe Angst vor dem Vergessen. Ich fürchte das Vergessen wie der sprichwörtliche Blinde, der die Dunkelheit fürchtet.
HAZEL (IN GEDANKEN)
Normalerweise bin ich eigentlich nicht der Typ, der sich freiwillig meldet. Immerhin war ich schon drei Jahre nicht mehr in der Schule und an der Uni redet immer nur der Prof. Aber Vergessen ist eigentlich ein ziemlich interessantes Thema.
Was soll Hazel tun?
- Hazel soll sich melden.
- Hazel soll sich nicht melden.
Wenn Hazel sich meldet…
HAZEL hebt die Hand.
PATRICK (ERFREUT)
Hazel, schön, dass du dich meldest!
HAZEL
Augustus, es kommt eine Zeit, da wir alle tot sind. Wir alle. Es kommt die Zeit, da es keine Menschen mehr gibt, die sich erinnern können, dass je irgendwer von uns existiert hat oder dass unsere Spezies je etwas geleistet hat. Dann ist keiner mehr da, der sich an Aristoteles oder Kleopatra erinnert und erst recht nicht an dich. Alles, was wir getan oder gebaut, geschrieben, gedacht oder entdeckt haben, alles wird vergessen sein, und all das hier…
HAZEL macht eine allumfassende Geste.
Hazel (Fortsetzung)
…hat keine Bedeutung mehr. Vielleicht kommt diese Zeit bald, vielleicht erst in Millionen von Jahren, aber selbst, wenn wir den Kollaps unserer Sonne überleben sollten, überleben wir nicht für immer. Es gab eine Zeit, bevor die Organismen zu Bewusstsein kamen, und es wird eine Zeit danach geben. Und wenn es die Unausweichlichkeit des menschlichen Vergessens ist, die dir Angst macht, dann rate ich dir eins: ignorier‘ sie einfach. Das ist, weiß Gott, was alle anderen machen.
PATRICK
Hazel, das, was du gesagt hast, ist echt gut, du solltest dich öfters melden!
Lasst uns daraufhin beten!
Wenn Hazel sich nicht meldet…
Es entsteht eine kurze Pause.
Patrick
Nun, ich bin kein Pfarrer, aber ich glaube, dass wir nie vergessen werden. Gott wird uns ewig an Vergangenes erinnern, selbst wenn wir es vergessen. Ich würde dir daher empfehlen, deine Angst einfach zu ignorieren.
Lasst uns dafür nochmal beten.
Ein Gedanke zu „„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ – Ein neuer Cache6 min read“